Dieser Artikel von Walter Bau ist in "Der Westen" vom 05.07.2011 erschienen
Die italienische Journalistin Maria Rosaria Capacchione. | Foto: Carlo Hermann/afp |
Neapel. Beruf: Journalistin. Arbeitsfeld: das organisierte Verbrechen. Arbeitsplatz: Neapel, das Zentrum der Camorra. Die italienische Zeitungsredakteurin Rosaria Capacchione durchleuchtet seit über 20 Jahren die dunklen Geschäfte der Clans. Sie deckt auf, klagt an, nennt Namen. Dafür zahlt sie einen hohen Preis: Seit dreieinhalb Jahren, nach mehreren Morddrohungen, lebt die 51-Jährige unter ständigem Schutz von Leibwächtern.
Wir treffen Rosaria Capacchione an ihrem Schreibtisch bei der Zeitung „Il Mattino“, mit einer Auflage von gut 100 000 Exemplaren auflagenstärkste Zeitung Neapels. Die Schlagzeilen an diesem Tag gehören dem Müll, der sich mal wieder in den Straßen der Metropole türmt. So findet sich erst auf einer der hinteren Seiten der Bericht Capacchiones, der sich mit den jüngsten Drohungen und Einschüchterungen der Clans im nahen Casal de Principe gegen Camorra-Gegner befasst.
„Die Camorra erhebt wieder ihr Haupt“
Darin heißt es: „Die Camorra, zwar geschwächt von Festnahmen und Verurteilungen, aber nicht bezwungen, erhebt wieder ihr Haupt.“ Es wird gedroht, zusammengeschlagen, auf einem von den Behörden beschlagnahmten Gelände eines Clans wird die Bewässerungsanlage zerstört. „Ein eindeutiges Signal“, sagt Capacchione. „Eine Warnung.“
Die Journalistin kennt die Sprache der Camorra, einer Organisation, die ihr Gesicht in den letzten Jahren freilich drastisch verändert hat. „Der Gangster, der mit der abgesägten Schrotflinte herumläuft und Angst und Schrecken verbreitet, ist heute nur mehr Folklore“, sagt sie. Auch das Drogengeschäft auf der Straße oder Schutzgelderpressungen überlasse die Camorra längst albanischen oder asiatischen Kleinbanden.
Von Bossen zu Managern
Stattdessen mische die Organisation etwa in der Baubranche, im Fleischhandel oder im internationalen Finanzgeschäft mit. Schätzungen zufolge setzen allein die kampanischen Clans, legale und illegale Unternehmungen zusammen genommen, jährlich mindestens zehn Milliarden Euro um. „Aus den Bossen“, sagt Capacchione, „sind Manager geworden.“
Manager, die es nicht gern sehen, wenn ihre Machenschaften öffentlich werden. Etwa durch Journalisten. Fast vier Jahre ist es her, dass Rosaria Capacchione einen Anruf von den Sicherheitsbehörden erhielt. Man teilte ihr mit, es gebe eindeutige Hinweise darauf, dass die Camorra die hartnäckige Rechercheurin im Fadenkreuz habe. Man stellte ihr eine „scorta“ zur Seite: zwei Sicherheitsbeamte, die die Reporterin nahezu auf Schritt und Tritt eskortieren. „Ich hatte keine Wahl“, erzählt Rosaria Capacchione. „Die Behörden bestanden auf der Leibgarde.“ Wie es sich damit lebt? „Du bist plötzlich immer zu dritt. Spaßig ist das nicht.“
Seit den 80er-Jahren auf der Spur
Aber gewiss auch keine übertriebene Vorsicht, wie ein trauriger Fall aus der Vergangenheit beweist. Giancarlo Siani war wie Rosaria Capacchione Journalist bei „Il Mattino“. Und so wie sie heute, setzte sich der junge Reporter in den 80er-Jahren auf die Spur des organisierten Verbrechens, recherchierte über die Kriege der Camorra-Clans, die damals die Stadt mit blutigen Fehden überzogen. Mit an die 300 Morden jährlich befand sich Neapel in jener Zeit fast im Kriegszustand. Reporter Siani kam den Clans zu nahe. Am Abend des 23. September 1985 wurde der 26-Jährige vor seinem Haus erschossen.
Eindeutiges Signal
„Man kann nicht ständig mit der Angst leben“, sagt Rosaria Capacchione heute. „Ich habe mir meinen Job selbst ausgesucht.“ Für ihre mutige Arbeit hat sie zahlreiche Preise und Ehrungen erhalten. Ihr Buch über die Camorra gilt in Italien als ein Standardwerk. Und die Journalistin beobachtet, dass ihre Arbeit Früchte trägt. „Es ändert sich etwas in der Gesellschaft“, sagt sie. Immer mehr Menschen würden erkennen, dass die Camorra kein unabänderliches Schicksal ist, „sondern dass man auch Nein sagen kann“.
Kürzlich, so erzählt sie, hätten ihr in ihrer Heimatstadt Caserta, einer Camorra-Hochburg, fremde Menschen die Hand geschüttelt und ihr für ihre Arbeit gedankt: „Auf offener Straße. Direkt vor dem Café, das dem örtlichen Clan-Boss gehört.“ Für Rosaria Capacchione ist auch dies ein ein-deutiges Signal.
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